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Glück im LARP oder lässt sich Aristoteles und LARP verbinden
in Verlautbarungen 01.01.2015 19:46von Thyrin MabBran • Komtur | 834 Beiträge
Zuerst: Was ist Glück?
Was benötigt der Mensch, um glücklich zu sein? Diese Frage hat schon viele Menschen beschäftigt und wird dies auch weiterhin tun. Einer von ihnen war Aristoteles. Er unterschied in seiner Nikomachischen Ethik zwischen mehreren Arten, wie man denn zum Glück finden könnte, bzw. wie die Menschen versuchen, Glück zu erlangen. Dabei spricht er vom höchsten Gut, nach dem die Menschen streben würden. Dieses höchste Gut aber sei das Glück. Wie nun lässt sich das verstehen? Glück als das höchste Gut? Einleuchtend. Aber wie komme ich dahin?
Nun, hier unterscheidet Aristoteles mehrere Arten, wie denn die Menschen nach Glück zu streben versuchen. Zuerst das einfache Volk, das Glück in der Hedonie, also dem Ausleben der Lüste, in Besitz und Wohlstand sehen. Jemand, der krank ist, wäre glücklich, wenn er gesund wäre, ein Bettler würde sich als glücklich bezeichnen, wenn er zu Reichtum gelangen würde. Das alles, so Aristoteles, führe aber nicht zum Glück. Denn es ist nicht abschließend. Wenn wir gesund sind, begehren wir vielleicht mehr Geld, mehr Lust usw. Die nächste Stufe, wie denn Glück zu erlangen sei, ist die Tugend. Ein tugendhafter Mensch, der sich ehrenhaft verhält, könnte hier als Beispiel gelten. Oder eben allgemein jemand, der nach den gesellschaftlich vorherrschenden Moralvorstellungen ein tugendhaftes Leben führt. Aber: diese Tugendhaftigkeit kann nicht nur zum Glück führen. Sollte ein tugendhafter Mensch an der moralischen Vorstellung festhalten, nicht lügen zu wollen und dadurch sich und seine Angehörigen in Gefahr bringen, so bedroht er das Glück, das er durch seinen tugendhaften Lebenswandel bereits erreicht hat. Dies kann also nicht die einzige Möglichkeit sein, wie man denn zum Glück gelangen kann. Zudem wird der Tugendhafte nicht darauf verzichten, dass ihm seine Tugend von seinen Mitmenschen bestätigt wird, in dem sie ihn ehren oder sonst ihre Gunst beweisen. Wenn dies aber der Fall ist und der Tugendhafte eben nicht der Tugend willen tugendhaft handelt, so ist sein Motiv, durch seine Mitmenschen bestätigt zu bekommen, dass er ein guter Mensch ist. Wenn dies aber der Fall ist, so ist sein Motiv nicht mehr die Tugend um der Tugend Willen, sondern die Tugend wird zu einem Mittel zum Zweck.
Aristoteles geht also weiter. Er definiert das Glück und damit das Höchste Gut, dadurch, dass es abschließend ist. So muss also das Streben nach Glück dadurch gekennzeichnet sein, dass es aus sich selbst heraus angestrebt wird und nicht um anderer Dinge wegen. Wer also meint, durch Geld alleine glücklich werden zu können, der wird, wenn er denn nun sehr viel Geld hat, nach mehr streben. Er wird feststellen, dass das Geld alleine nicht ausreicht. Er wird nun, um sein Glück noch zu steigern, sich einen Pool bauen oder ein teures Auto kaufen, in der Hoffnung, damit sein Glück noch weiter steigern zu können. Ist dies aber der Fall, so hat er eben nicht die höchste Stufe des Glücks erreicht, sondern strebt immer noch danach. Es kann also nur der glücklich sein, der nicht danach strebt, das Glück noch weiter zu vermehren. Denn dies ginge nach Aristoteles nicht mehr. Glück muss also etwas sein, das autark (mit autark ist in diesem Fall nicht gemeint, dass man unabhängig von seinen Mitmenschen lebt, sondern, dass man nicht mehr benötigt, als man bereits hat) ist, etwas das nicht mehr auf eine Steigerung angewiesen ist. Zwar kann man auch hier weiterhin Autos kaufen oder Geld anhäufen, aber man wird das nicht mehr tun, um das Glück noch weiter zu steigern. Man kann es auch so zusammen fassen: „Frage dich, ob dein Leben wählenswert ist.“ Die Wege dahin können vielfältig sein. Ob denn nun ein Mensch durch Besitz, Lust und Ruhm oder durch Tugenden wie Ehrlichkeit, Mut und Ehre zum Glück findet, bleibt ihm überlassen, so lange er um des Glücks Willen nach etwas strebt. Aristoteles streitet also nicht ab, dass durch unterschiedliche Möglichkeiten das Glück an sich erreicht werden kann, auch wenn sie alle ihre Rücken haben. Wichtig ist jedoch immer, dass eben das Ziel aller Bestrebungen im Mittelpunkt steht und nicht das, was dabei heraus kommen soll.
Und was hat das mit LARP/Rollenspiel zu tun?
Nun, in dem Moment, in dem der Rollenspieler damit beginnt, einen Charakter zu erstellen, unabhängig davon, ob dies für LARP oder ein P&P geschieht, beginnt er, eine alternative Persönlichkeit aufzubauen. Diese alternative Persönlichkeit erhält nun möglichst eine Hintergrundgeschichte. Sie wird Sehnsüchte haben, einen Sinn in ihrem Leben suchen, nach etwas streben. Und hier haben wir den ersten Ansatz: Das Streben. Wieder wird der Charakter nach etwas streben, dem höchsten Gut, dem Glück, wie auch immer das für ihn aussehen soll. Von diesem Ansatz ausgehend stellt sich also die Frage, nach was der Rollenspieler strebt, wenn er sich denn einen Charakter erschafft. Strebt er nach dem Spiel selbst oder doch eher nach der „Macht“ oder dem Aufstieg seines Charakters? Schauen wir uns das etwas genauer an. Ein Charakter entwickelt sich im Laufe des Spiels weiter. Es stellt sich aber nun die Frage, wie diese Entwicklung von statten geht. Legt der Spieler sein Augenmerk auf die Erfahrungspunkte, oder eher auch charakterliche Entwicklung und sind die Punkte für ihn da eher Nebensache? Nun, legt es ein Spieler darauf an, die Fertigkeiten seines Charakters immer weiter zu steigern, so könnte dies ebenfalls als ein Streben betrachtet werden. Er strebt also nach Vollkommenheit, nach Macht, nach „handfesten“ Beweisen seines Könnens. Versuchen wir nun, Aristoteles` Meinung zum gewöhnlichen Volk auf dieses Modell zu übertragen. Der Spieler würde also nach „stofflichen“ Dingen streben. Er strebt danach, seinem Charakter mehr Lebenspunkte zu geben, seine Waffenfertigkeiten zu erhöhen, ungefähr so, wie der Kranke das Glück in der Gesundheit sieht. Das Glück dieses Spielers würde also darin bestehen immer mehr anzusammeln, sein Glück kann also mit jedem Stufenaufstieg, mit jedem weiteren Con-Tag gesteigert werden. Für einen Spieler dieser Art ist die charakterliche Weiterentwicklung eher Nebensache, da sein Augenmerk auf den materiellen Dingen liegt. Er strebt also nicht um des Spiels willen nach neuen Abenteuern. Ein Spieler jedoch, der seinen Schwerpunkt auf die Charakterentwicklung legt, wird nun eher mit den Tugendhaften in Aristoteles Beispiel zu identifizieren sein. Er wird seinen Charakter auch dann in Gefahr bringen, wenn dadurch das Risiko besteht, dass dieser stirbt. Er wird so handeln, weil die moralischen und „tugendhaften“ Vorstellungen (unabhängig von Gesinnungen) es ihm vorschreiben. Der Spieler wird also nach Tugenden streben, nach höheren Werten, wenn man es so nennen will. Hier nun kommt es zu einer weiteren Unterscheidung. Strebt er nach diesen höheren Werten wie Mut und Ehre, um ihrer selbst oder um das Wohlgefallen seine Mitspieler Willen? Trifft Ersteres zu, so handelt er wieder nicht um der Tugenden, sondern um des Ansehens als Tugendhafter Willen. Trifft jedoch Zweiteres zu, so wird er seinen Charakter in Gefahr bringen (der Paladin wird selbst im Finsterland des Dunklen Herrschers noch stolz seinen Glauben bekunden) und nicht nur sich, sondern auch die Charaktere seiner Mitspieler. Das Glück, nach dem der Charakter strebt, wird also zum Unglück für alle, eben WEIL er tugendhaft gemäß den gesellschaftlich-moralischen Vorstellungen handelt. Wir sehen uns also hier in einem ähnlichen Dilemma, wie bereits im oben aufgeführten Beispiel des Aristoteles. Der Spieler strebt zwar nach Glück, doch das Glück kann nur durch das Spiel an sich selbst erreicht werden. Das Erreichen dieses Spielglücks ist aber möglich, genauso, wie das Erreichen des Glücks im realen Leben möglich ist. Müssen wir also das Spielglück als etwas ansehen, das autark sein muss? Müssen wir uns also fragen, ob der Charakter spielenswert ist? Theoretisch ja. Praktisch sieht die Sache etwas anders aus.
Ist der Charakter spielenswert?
Die meisten von uns greifen bei der Erschaffung ihrer Charaktere auf „reale“ Empfindungen, Ansichten und Denkmuster zurück. Fast jeder flicht in seine Charaktere Elemente seines Selbst ein, mögen sie auch noch so gering sein. Die Frage, ob der Charakter spielenswert ist, stellt sich also in dieser Form nicht, da er ja von uns so erschaffen wurde, dass er spielenswert ist. Das Glück des Spielens wird also bereits dadurch gefördert, dass man die bestmöglichsten Voraussetzungen schafft. Von diesem Punkt aus können wir die Sache weiter angehen. Wir wissen also nun, dass wir bereits mit der Charaktererschaffung möglichst optimale Voraussetzungen geschaffen haben, um unserem Charakter ein wählenswertes Leben zu ermöglichen. Damit legen wir auch von vorne herein fest, wie denn das Glück für unseren Charakter aussehen könnte. Dass sich diese Einstellung im Lauf der Charakter-Karriere ändern kann, dürfte jedem von uns klar sein.
Kann ein Charakter nach Glück streben?
Ja, kann er. Schon alleine die Tatsache, dass er existiert, ist ein Beweis dafür. Er wurde geschaffen, um in dieser Form nach seinem persönlichen höchsten Gut zu streben. Dies scheint ein Zirkelschluss zu sein. Er strebt nach Glück, weil er dafür erschaffen wurde, nach seinem eigenen, höchsten Gut zu streben. Allerdings -und hier durchbrechen wir diesen Kreis- haben wir auch hier Unwägbarkeiten, die dieses Streben nach Glück unsicher machen. Wir haben den Charakter also nicht nur erschaffen, um ihn zum Glück zu führen, nein, sondern auch, um ihn den Gefahren des Scheiterns auszusetzen. Wir wollen wissen, was passiert, wenn er dies oder das erledigen muss.
Daraus kann man folgern, dass dieses Streben durchaus vorhanden ist. Problematisch wird die Sache erst wieder ab dem Punkt, an dem wir uns dieses Streben genauer anschauen. Der Charakter wird von Abenteuer zu Abenteuer gehen. Stellt also sein Streben nach Glück nicht genau das dar, was wir vorher kritisiert haben? Eben der Versuch, das Glück noch zu steigern? Wir schicken ihn von einer Gefahr in die Andere, nur, damit er noch mehr erlebt. Man kann hier sagen, dass wirklich versucht wird, das Glück weiter zu steigern. Dies ist aber nach Aristoteles nicht möglich. Entweder, man ist glücklich, dann strebt man nicht mehr nach einer Steigerung oder man ist es nicht und sucht weiter. Und, so hat es den Anschein, besteht die Steigerung unseres Charakterglücks doch darin, immer mehr zu erleben, immer mehr Tugenden, immer mehr Besitz usw. anzusammeln, um dadurch uns, die Spieler noch mehr Freude zu bereiten. Ein Spielleiter muss sich immer aufregendere, immer wieder neue Dinge einfallen lassen, um uns, die Spieler zu fordern und zu begeistern. Der Spielleiter versucht also, unser Glück noch weiter zu steigern. Denn wer identifiziert sich nicht mit seinem Charakter? Wer erzählt nicht davon, was ER alles geleistet hat? Der Spieler tritt aber bereits mit dieser Erwartung an den Spielleiter heran. Er will ja immer wieder etwas Neues erleben. Ist das aber wirklich das Erweitern von Glück? Das ist nun Ansichtssache. Für den Spieler, dessen Bestreben es ist, seinen Charakter immer mächtiger zu machen, wird das sicher zutreffen. Für den Spieler, der sich der Charakterentwicklung verschrieben hat, ebenfalls. Aber können wir nicht auch einfach um des Spielens Willen spielen? Ich denke ja. Geht es bei einem Rollenspiel denn nicht in erster Linie darum, eben einfach etwas anderes zu machen, Urlaub vom Alltag zu machen? Ich denke schon. Wenn wir also das Spiel um des Spiels Willen betreiben, so hebeln wir den Mechanismus der Glückssteigerung aus. Im Spiel selbst ist es uns egal, ob unser Charakter nun weitere Erfahrungspunkte bekommt oder ob er jetzt bewusst tugendhaft ist. Wir tun es einfach, weil wir es tun, weil es zu unserem Charakter passt. In diesem Moment sind wir glücklich. Wir haben das Ziel des Spiels und damit auch das Ziel des Charakters erreicht. Wir spielen einfach. Wir sind glücklich, weil wir spielen.
Wir und das Glück
Wir wissen also nun, dass wir im Idealfall während des Spiels selbst glücklich sind, dass es für uns keiner Steigerung mehr bedarf, um noch glücklicher zu sein. Die Frage ist doch nun aber, ob wirklich wir glücklich sind, oder nicht vielmehr die Person, die wir gerade verkörpern?
Wie bereits weiter oben angesprochen, steckt in den meisten unserer Charaktere ein Teil von uns selbst. Wir haben dies bewusst oder unbewusst getan. Der Charakter verkörpert also einen Teil unserer Sehnsüchte und unserer Vorstellungen. Der Charakter sucht also an unserer Statt nach dem Glück. Zumindest scheint es so zu sein. Daraus würde folgen, dass wir nur glücklich sind, wenn die durch den Charakter verkörperten Aspekte von uns selbst zu Tage treten.
Kann uns das bei unserer eigenen Suche nach dem Glück helfen? Sicherlich. Denn ausgehend vom Modell eines Charakters, der unbewusst oder bewusst einzelne unserer Aspekte verkörpert, wird deutlich, dass wir diese Aspekt-Charaktere durchaus beobachten können, um für unser reelles Leben Vorteile ziehen zu können. Wir wissen, dass ein Aspekt von uns in diese Richtung geht, ein Anderer in jene. Wir können nun an diesen Aspekten arbeiten, etwas, das wir auch meist unbewusst bereits während des Spiels betreiben. Wir machen uns also bewusst, was denn unsere Vorstellung von Glück sein könnte und haben nun die Möglichkeit, diese Aspekte zu vereinen. Ausgehend von diesem Gedanken stellt sich freilich die Frage, ob denn Tugenden, die zumindest ein Teilaspekt des Glücks sind, erlernt werden können. Die Antwort darauf ist ja. Tugenden können erlernt werden, auch wenn ich in diesem Fall den Begriff der Tugend weiter fassen würde, als nur die moralisch-gesellschaftlichen Ideale. Tugenden sind in diesem Fall jene Werte, die wir für uns selbst als wichtig erachten, sind Dinge, wie wir sie im Spiel zu schätzen gelernt haben. Wir fokussieren sie durch das Spiel und haben die Möglichkeit, dadurch zu einem Leben zu finden, wie es für uns richtig ist, wie wir uns unseren Weg zum Glück vorstellen. Wir lernen, sie auszuleben. Nun kann nur jener tugendhaft sein, der eben die Tugenden auch lebt. Es kann nur der durch Hedonie zum Glück gelangen, der diese um ihrer selbst Willen betreibt.
Wir sehen also, dass wir durchaus durch Rollenspiel zum Glück finden können. Ein Mittel dazu ist sicherlich die Selbstreflexion. Durch die Aufspaltung unserer Wünsche und Sehnsüchte und Aspekte kann dies deutlich einfacher gelingen, als würden wir das ganze Paket betrachten. Reflektieren wir also über uns selbst und unsere Charaktere, seien uns aber auch darüber bewusst, dass wir bereits eine Art des Glücks erreicht haben: Das Spielen um des Spielens Willen, in dem alles andere belanglos wird.
daz dû behaltest mêre
die jungisten lêre
die dir dîn vater taete.
wis getriuwe, wis staete
wis milte, wis diemüete
wis vrävele mit güete
wis dîner zuht wol behuot
den herren stare den armen guot.
"Papa Rotbart"
"Oderint dum metuant"
(Lucius Accius)
"Ich habe da ein ganz mieses Gefühl"
~Obi-Wan in der Schlacht von Coruscant~
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