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Die Queste im LARP

in Verlautbarungen 01.01.2015 19:45
von Thyrin MabBran • Komtur | 834 Beiträge

Und wieder ein Aufsatz, der sich mit Aspekten des LARPs beschäftigt. Wie bereits der "Heldentod" ist auch dieser Artikel bereits an anderer Stelle erschienen, wird aber der Vollständigkeit halber hier noch mal veröffentlicht.




Die Queste:
Zuerst eines vorneweg: Hier soll nicht die Queste, wie wir sie aus diversen PC- und Online-Rollenspielen kennen, mit ihrem „Bringt mir 10 Orkhauer“ oder „Pflückt drei Stinkrosen“, behandelt werden, sondern die eigentliche Queste, wie wir sie aus der klassischen Literatur und Heldenlieder kennen.

Was ist denn nun eigentlich eine Queste? Wie bereits angedeutet, wird es nicht nur das Erfüllen von Aufgaben sein, auch wenn man das annehmen könnte. Eine Queste ist mehr. Sie hat immer auch einen höheren Sinn, sie stellt, zumindest in der klassischen Heldendichtung, eine Aufgabe dar, die meist das ganze Leben andauert oder doch dieses maßgeblich beeinflusst.
Ich denke, es könnte sinnvoll sein, wenn wir zuerst einmal die Queste zu rekonstruieren. Wie bereits gesagt, beeinflusst sie das Leben ihres „Trägers“ maßgeblich. Es stellt sich also die Frage, ob es dafür andere Beispiele gibt und nach welchem Schema die Queste funktioniert.

Heute vertritt man die Meinung, dass jede Form von epischer Dichtung (Romane, Fantasy usw.) nach einem bestimmten Muster gestrickt wird, das sich seit der Entstehung der erzählten Geschichte kaum verändert hat. So hat man zu Beginn der Geschichte meist nur den Helden, der zu diesem Zeitpunkt noch gar ein Held ist. Der Held findet dann einen Lehrmeister, der ihn ausbildet. Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, dass unser Held zu einem Krieger werden soll, also das übliche Fantasy- oder Epenklischee. Der junge Mann, evtl. auch erst ein Jugendlicher, wird in die Welt der Erwachsenen gestoßen, meist auf recht grobe Art und Weise. Er findet jemanden, der sich seiner annimmt, seinen zukünftigen Lehrmeister. Dieser bringt ihm alles bei, was er weiß und bereitet ihn damit auf die Aufgabe vor, die noch vor ihm liegt. Der Lehrmeister wird aber nicht immer an der Seite seines Schützlings sein, so dass dieser am Ende selbst flügge werden muss. Der Held macht sich also auf den Weg. Er sucht nach seiner Bestimmung, nach seiner Lebensaufgabe. Das kann, um beim klassischen Bild zu bleiben, das Sühnen von begangenem Unheil sein, muss es aber nicht. Auf seinem Weg muss er einige Hindernisse überwinden, an denen er wächst und die ihn auch charakterlich reifen lassen. Am Ende schließlich kommt er an seinem Ziel an, sowohl dem physischen, als auch dem metaphorischen, eben dem (vorläufigen) Abschluss seines Reifeprozesses.

Ein Beispiel: Percival
Percival, auch bekannt als Parzival, wird auch als der „tumbe Ritter“ bezeichnet, da ihm zu Beginn jede Art ritterlicher Erziehung fehlt.Seine Mutter, eine Fürstin, war mit ihm nach dem Tod ihres Mannes, in den Wald geflohen, um sich dort von der Welt abzukanzeln. Ihr Sohn Percival lernt also nie das höfische Verhalten kennen. Eines Tages begegnet er einem Ritter der Tafelrunde und spricht den auf ungehobelte Weise an. Die Rüge ist vorprogrammiert. Wieder daheim bei seiner Mutter, berichtet er ihr von diesem Ritter und seinem Wunsch, selbst ein solcher zu werden. Die Mutter, noch immer in Trauer über den eben durch Ritterlichkeit verlorenen Mann, gibt ihn widerwillig frei. Allerdings gibt sie ihm diverse Ratschläge, die aber das Gegenteil guter Erziehung sind. So will sie verhindern, dass Percival zu einem Ritter ausgebildet wird. Die Sache geht aber nicht ganz auf. Percival kommt an den Hof König Arthurs und stolpert nebenbei über den Gral. Durch den Mangel an Erziehung ist er aber nicht in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen, um den Gralskönig von seinem Leiden zu erlösen. Er muss also die Gralsburg ohne Erfolg verlassen. Erst da wird ihm bewusst, dass er einen Fehler begangen hat. In der Folgezeit liegt sein Hauptbestreben darauf, den Fehler zu korrigieren, er eignet sich die ritterlichen Tugenden an, wird gar zu einem Ritter der Tafelrunde. So gewappnet, macht er sich erneut auf die Suche nach dem Gral. Und dieses Mal hat er Erfolg! Erneut findet er die Gralsburg, erneut steht er vor dem siechen Gralskönig. Dieses Mal jedoch kann er die Fragen beantworten. Der Gralskönig wird erlöst, Percival wird der neue Hüter des heiligen Grals.

Die Geschichte zeigt auf deutliche Art und Weise, was wir unter einer Queste im klassischen Sinn zu verstehen haben, ebenso verdeutlicht sie die Entwicklung des Helden, die als grundlegend für die Geschichte, für den Epos selbst ist. Percival geht zuerst in die Welt hinaus, um sie kennen zu lernen. Er handelt also aus Eigennutz, von dem Wunsch beseelt, eines Tages ebenfalls ein Ritter zu sein. Durch seine mangelnde Ausbildung begeht er aber Fehler, im Grund können wir hier den Schicksalsschlag sehen. Er findet einen Lehrmeister - die Tafelrunde im weitesten Sinne - und kann dort das nicht vorhandene Wissen auffüllen. Dabei geschieht aber noch etwas anderes. Eben durch dieses Lernen wird die eigentliche Intention seiner Reise in den Hintergrund gedrängt. Es geht ihm nicht mehr um den eigenen Ruhm, es geht ihm um das Wohl des Gralskönig, da nicht nur der König selbst, sondern mit ihm auch das gesamte Land leidet. Percival erringt also die Reife, sich erneut der Prüfung zu stellen. Sein Anliegen ist dabei weniger die Königswürde, sondern vielmehr die Möglichkeit, dem Land und dem König Frieden zu bringen. Das gelingt ihm am Ende auch. Als Belohnung wird er der neue König der Gralsburg, das Land blüht wieder auf. Das Motiv der Queste und der Entwicklung des Helden wird hier also zu einem und damit zum eigentlichen Motiv des Handelns.


Im LARP
Was aber hat das mit LARP zu tun? Nun, ich denke, dass zumindest das Streben nach einem Ziel, ob es denn nun persönliche Bereicherung des Charakters oder etwas Höheres ist, vorhanden sein muss, um überhaupt spielen zu können.
Wenn man sich die Entstehung eines Charakters anschaut, dann stellt man recht schnell fest, dass es auch hier Parallelen gibt. Die „Helden“ (wenn man denn im LARP von Helden sprechen will) haben meist einen Grund, warum sie denn nun hier oder da sind und sich den Orks in den Weg stellen. Sei es reine Abenteuerlust, sei es der Wunsch nach Rache, weil die Elten von Orks erschlagen wurden, sei es der Zufall. Es gibt also immer etwas, das den Charakter aus der Bahn wirft und ihn mehr oder weniger dazu zwingt, das zu tun, was er tut. Teilweise wird dann die Ausbildung, die Lehre des Charakters im Spiel selbst vorgenommen, teilweise aber auch schon vorweg genommen und nur aus der Retrospektive erzählt. Wir können also zumindest festhalten, dass die Helden im LARP einige der klassischen Schritte durchlaufen, wenn auch nicht in der Ausprägung, wie man das in der Literatur antrifft.
Wie sieht es dann aber mit den anderen Punkten aus? Der Weiterentwicklung eines Charakters, seiner Reife und dem Abschluss seiner Reise?
Da wird es schon etwas problematischer. Im Normalfall wissen wir nicht genau, wie und wo die Reise endet, es ist daher auch schwer festzulegen, ob denn der Charakter seine Reife überhaupt erreicht. Anders sieht es dagegen mit seinem Zielsetzungen aus. Der Charakter strebt (wie ich bereits in meinem Aufsatz über LARP und Glück beschrieben habe) nach etwas. Dieses Etwas ist wahrscheinlich so unterschiedlich wie die Spieler, die hinter diesem Konzept stehen. Gehen wir aber mal davon aus, dass der Charakter nach etwas strebt. Das kann vollkommen materiell und eigennützig sein, wie bei einem Söldner oder einem Herumtreiber, kann aber auch an die Hingabe zu einem Gott oder etwas Ähnlichem heran reichen, also metaphysischer Natur sein.
Wie sieht es dann aber damit aus, dass ja die klassische Entwicklung eines Helden zu sich selbst führt? Nun, ich denke, dass wir hier berücksichtigen müssen, dass jeder Held im LARP sich entwickelt, neue Einflüsse aufnimmt, Angewohnheiten hat, usw.. Der Spieler hat sich also Gedanken gemacht, wie er denn den Charakter spielen will und damit eben auch, in welche Richtung er sich ungefähr entwickeln wird. Der Charakter hat Wünsche und Sehnsüchte und mögen sie noch so primitiv sein. Aber genau diese Wünsche und Sehnsüchte sind sein Antrieb. Er will also irgendwann diese Wünsche erfüllt sehen, ein egoistisches, aber nachvollziehbares Streben. Man kann also davon ausgehen, dass dies durchaus als eine Art Reife oder doch das Ende der Reise darstellen könnten.
Ist das aber jetzt schon die Queste? Haben wir nicht vorher festgestellt, dass der Held der Queste irgendwann von seinen eigennützigen Zielen zu den hehren, der Gemeinschaft Zugewandten umschwenkt? Ja, haben wir. Ist das aber dann der Fall? Nein, zumindest nicht unbedingt. Der Söldner wird kaum einen Grund haben, einem lichten Paladinorden beizutreten, wenn nicht etwas Einschneidendes passiert ist. Dass dieses Einschneidende aber eintritt, dafür gibt es keine Garantie. Anders dagegen sieht es bei Charakteren aus, die ein solches Erlebnis bereits hinter sich haben, ob denn nun ausgespielt oder fiktiv in der Vergangenheit. Ein solcher Charakter wird wohl eher seine persönlichen Bedürfnisse hinter die der Gemeinschaft zurück stellen, wobei zurück stellen nicht der passende Begriff ist. Vielmehr wandeln sich ja seine persönlichen Motive wie die Suche nach Ruhm usw. dahingehend, dass er die Heldentaten (z.B. den Werpinguin erschlagen) nicht mehr um des Ruhmes wegen, sondern der Allgemeinheit, der Gesellschaft zum Wohle tut. Dabei ausschlaggebend scheint mir jedoch die Tatsache, dass er dies nicht einmal tut und auch nicht, weil es die Gesellschaft, zu der er momentan gehört, so erwartet und er ohne diese Tat evtl. sein Leben verlieren würde, sondern, weil es sein persönlicher Wunsch geworden ist.

Schauen wir uns ein Beispiel dazu an. Beowulf kämpft für König Hrodgar gegen Grendel und gewinnt. Das tut er aber nicht aus reiner Menschenliebe, nein, er tut es des Geldes wegen. Später, als er selbst als König über das Land herrscht, sieht die Sache anders aus. Ein Drache taucht auf, der das Land verheert. Ein Bauer hat ihm einen Becher aus seinem Schatz geraubt. Was macht Beowulf? Er zieht nicht des Goldes wegen in den Kampf, er stellt sich dem Drachen, weil es sein Wunsch ist, sein Volk vor Unglück zu bewahren. Am Ende töten sich beide gegenseitig, trotzdem geht Beowulf als derjenige in die Geschichte ein, der sein Volk gerettet hat. Die Motive seines Handelns haben sich also im Laufe der Zeit geändert. Seine Queste wäre also der Schutz seines Volkes gewesen, zu der er langsam aber sicher gelangt ist.

Geht so etwas auch im LARP? Ich denke ja. Es gibt immer wieder Handlungsstränge, die speziell auf bestimmte Charaktere zugeschnitten sind. Dem Charakter wird hier also durchaus die Möglichkeit geboten, seine eigene Queste zu bestehen und dies in einem Rahmen, in dem er sich selbst weiterentwickeln kann.

Ich denke aber nicht, dass sich das Motiv der Queste im klassischen Sinne auf jeden Charakter übertragen lässt. Vielmehr denke ich, dass es zwei Möglichkeiten gibt, wie es zu dieser Queste kommen kann:

1. Das Charakterkonzept wird von vorneherein so ausgelegt, dass der Charakter nach einem höheren Ziel als Bereicherung und Ruhm strebt und dass er dies uneigennützig tut.
2. Durch einschneidende Ereignisse ändert sich die Haltung des Charakters und er beschreitet einen neuen Weg.

Egal, wie man es letzten Endes nimmt: Ähnlich wie bei einem Autor treten Spieler und / oder Spielleitung als Indikator hinzu. Der Weg wird von niemandem erwartet, er ergibt sich oder wird geplant, so weit das möglich ist. Daraus resultiert für mich der Schluss, dass die Motive der klassischen Heldenepik durchaus auch im LARP Anwendung findet und dass es, - wie in der Heldendichtung selbst- dem Spieler überlassen bleibt, ob er denn den Weg zur eigenen Queste, zum eigenen, höheren Ziel annimmt oder eben auch nicht. Das bedeutet aber nicht, dass man grundsätzlich davon ausgehen muss, dass jeder Charakter jetzt eine Queste benötigt. Dafür gibt es im LARP viel zu viele unsichere Faktoren, die Einfluss auf das Spiel nehmen und die weitere Charakterentwicklung beeinflussen.


daz dû behaltest mêre
die jungisten lêre
die dir dîn vater taete.
wis getriuwe, wis staete
wis milte, wis diemüete
wis vrävele mit güete
wis dîner zuht wol behuot
den herren stare den armen guot.



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